In memoriam Heinrich Fischer 1841-1877
von Peter Kunzmann
„Photographisches Atelier. Einem geehrten Publikum die ergebene Anzeige, daß ich meinen Sohn als Photographen habe ausbilden lassen, und derselbe in meinem neu eingerichteten Atelier photographische Aufnahmen auf Papier und Glas mit und ohne Retouche anfertigen wird. Aufnahmen können von Morgens 9 Uhr ab stattfinden, jedoch wird es zweckmäßig sein, dann, wenn es geht, dieselben vorher ansagen zu lassen. Um zahlreichen, geneigten Zuspruch bittend
Siegen im November 1860. C. Th. Fischer.“1
Von da an – bis 1877 – warb C. Th. Fischer regelmäßig mit Zeitungsanzeigen für die Anfertigung von Fotografien in seinem (!) Atelier, was ihm später die Ehre einbrachte, neben Albrecht Melsbach, Adolph Rhodius und Carl Huster als einer der ersten Siegener Fotografen in die lokale Geschichtsschreibung einzugehen. Den Kunden konnte es seinerzeit natürlich egal sein, wer der Mensch hinter der Kamera war – dass ihm der Laden nicht gehörte und er nur als anonym bleibender Angestellter des Firmeninhabers, seines Vaters, in Erscheinung trat. Wenn in der Rückschau jedoch an die Pioniere des fotografischen Handwerks in seiner Frühzeit erinnert werden soll, empfiehlt es sich, etwas genauer hinzusehen. Einen Fotografen namens C. Th. Fischer gab es damals in Siegen nicht, wohl aber einen bislang nicht beim Namen genannten: Heinrich Fischer.
1840 hatte sich der Anstreicher Caspar Theodor Fischer, aus Böhle im Kreis Hagen kommend, in Siegen angesiedelt und hier ein Geschäft eröffnet, das sich im Laufe der Zeit zu einem kleinen Imperium entwickeln sollte.
„Den geehrten Bewohnern hiesiger Stadt und Umgegend beehre ich mich hierdurch ergebenst anzuzeigen, daß ich mich als Zimmermaler, Tapezirer und Anstreicher hier etablirt habe. Auch verfertige ich alle vorkommende Schriftarten auf Schilder, Denkmäler u.s.w. Die zu diesen Geschäften erforderlichen Materialien besorge ich, indem ich sämmtliche Firnisse und Lacke selbst bereite und für gute und billige Arbeit garantire; ich bitte deshalb um recht viele Aufträge. Meine Wohnung ist bei Herrn Seilermeister Lück am Klubb.
Siegen, den 6. Mai 1840. C. Th. Fischer.“2
Zu den angekündigten handwerklichen Dienstleistungen, noch erweitert um das Einrahmen von Gemälden, trat rasch eine beeindruckende Verkaufshandlung für Waren rund um die Raumausstattung: außer Farben, Lacken, Pinseln und Tapeten auch Spiegel, Fensterglas, Goldleisten, Bilderrahmen, Kron- und Wandleuchter, Fensterrolleaux, Gipsfiguren, Gardinen samt Zubehör, dazu gusseiserne Grabmonumente sowie (da Familie Fischer katholisch war) Kruzifixe und was immer sich die einrichtungsfreudige Kundschaft wünschen konnte. Daneben blieb dem Inhaber noch die Zeit, sich als Vorsitzender des Local-Handwerker-Vereins3 zu betätigen.
Caspar Theodor Fischers einziger Sohn, den er vor 1860 zum Fotografen ausbilden lassen konnte, war Heinrich, geboren am 5. Januar 1841. Die beiden anderen – Karl und Alfons – waren etliche Jahre jünger und kamen deshalb nicht in Frage. Als eine reglementierte Lehrlingsausbildung, wie sie in späteren Jahrzehnten obligatorisch werden sollte, wird man sich Heinrichs Schulung nicht vorzustellen haben. Unbekannt ist, in welchem Atelier er sich in das damals noch neue Berufsfeld einarbeitete – wahrscheinlich außerhalb Siegens, nicht bei dem einzigen vor 1860 in seiner Heimatstadt praktizierenden Fotografen Albrecht Melsbach, der kein Interesse daran haben konnte, vor Ort einen Konkurrenten heranzuziehen.
Die folgenden 17 Jahre können übersprungen werden. Das Leben nahm seinen wie üblich wenig spektakulären Lauf, bis im Frühjahr 1877 folgende, auf den ersten Blick wieder ganz gewöhnliche, Anzeige erschien:
„Indem ich mein photographisches Atelier bestens empfehle, mache ich darauf aufmerksam, daß ich durch die entsprechenden Vorrichtungen in den Stand gesetzt bin, Copien nach Zeichnungen, sowie auch besonders Vergrößerungen nach den kleinsten Photographien, die an Güte den Arbeiten auswärtiger Geschäfte nicht nachstehen, anzufertigen und habe ich Proben dieser Arbeiten in meinem Schaufenster ausgestellt.
Siegen, im April 1877. C. Th. Fischer.“4
Was dieses Inserat von allen vorangegangenen abhebt, ist die Tatsache, dass 16 Tage nach dem Druck Heinrich Fischer nicht mehr lebte. Zeitungsleser erfuhren dies nicht etwa von der Familie, sondern von Heinrichs Gesangverein:
„Todes-Anzeige. Gestern Vormittag um 10 Uhr starb unser verehrter Freund und Sangesbruder, der Photograph Heinrich Fischer im Alter von 36 Jahren. Wir verlieren in ihm eine der besten Kräfte unseres Vereins, und die edlen, liebenswürdigen Eigenschaften des Dahingeschiedenen sichern ihm ein dauerndes freundliches Gedenken. Die Erde sei ihm leicht!
Siegen, 27. April 1877. Der Vorstand des Gesangvereins Laetitia.“5
Immerhin dankte der Patriarch zwei Wochen später kurz angebunden für die Beileidsbekundungen:
„Für die uns bei dem so hart betroffenen Verluste unseres lieben Heinrich so vielfach bezeugte Theilnahme sagen wir Allen hiermit unseren herzlichsten Dank.
Siegen. C. Th. Fischer nebst Kindern.“6
Über die Todesursache muss nicht spekuliert werden; das Sterberegister der St. Marien-Gemeinde – auch hier ist als Beruf des Verstorbenen „Photograph in Siegen“ angegeben – gibt klare Auskunft: „Selbstmord in Folge Geistesstörung“.7 Dass eine solche tatsächlich vorlag, kann, bedenkt man das schwierige Verhältnis von Katholiken zur „Todsünde“ des Suizids, natürlich angezweifelt werden. Der analoge Eintrag beim Standesamt verzichtet denn auch auf Erklärungsversuche, präzisiert aber, dass Heinrich Fischer „im Leimbacher Weiher […] seinem Leben durch Ertränken ein Ende gemacht hat“.8 Ob er unter dem Einfluss einer psychischen Krankheit stand oder sein Lebensüberdruss vielmehr auf reale, vielleicht familiäre Frustrationen zurückzuführen war, muss ungeklärt bleiben.
In der Siegener Zeitung erschien wenig später nochmals die schon am 10. April eingerückte Werbeannonce, nun lediglich auf „im Mai 1877“ umdatiert9, was jedoch vermutlich auf einem Versehen der Anzeigenredaktion beruhte. Danach finden sich keine Hinweise mehr auf die Existenz eines der Firma Fischer angeschlossenen Fotoateliers. Lediglich im März 1878 informierte der Inhaber darüber, dass er „direct von Rom eine Photographie des hl. Vaters Pius IX. auf dem Sterbebette nebst Photographie des hl. Vaters Leo XIII.“10 erhalten habe, von denen er „recht getreue“ Kopien in Aussicht stellte, „wozu ich mittels meines photographischen Geschäfts im Stande bin“. Daraus lässt sich schließen, dass er sich unter Anleitung seines Sohnes mit der Zeit in die Anfertigung einfacher Reproduktionen eingearbeitet hatte, was ihn freilich noch lange nicht zum Fotografen machte.
Am 2. September 1898 starb C. Th. Fischer im 84. Lebensjahr.11 Das Geschäft hatte 1889 sein jüngerer Sohn Karl übernommen.12 Dieser beschränkte sich in der Folge, ohne ehrgeizige kaufmännische Ambitionen, bescheiden auf das Malerhandwerk und starb am 23. März 1927 als „Ehrenvorsitzender der Maler- und Anstreicher-Zwangsinnung zu Siegen“.13
Caspar Theodor Fischer war offensichtlich der Eigentümer des unter seinem Namen firmierenden Fotoateliers. Eigentümer seines Sohnes Heinrich war er nicht, wenn er auch alles Recht der Welt hatte, denselben als bloßen Angestellten und nicht als ebenbürtigen Partner zu beschäftigen, der öffentliche Anerkennung verdient hätte. Dies ist eben das Los unzähliger Bediensteter, Assistenten, Redenschreiber und sonstigen nicht selbständigen Personals. Durch angemessene Formulierung der für das Atelier werbenden Annoncen (z.B. „wir“ statt durchgängig „ich“) hätte der Vater leicht den Eindruck vermeiden können, er selbst wolle sich als ausführender Fotograf aufspielen und Lorbeeren einheimsen. Das einmalige Erwähnen seines professionell ausgebildeten Sohnes ganz am Beginn von dessen fotografischer Tätigkeit 1860 und die Heinrich Fischer explizit als Fotografen würdigende Todesanzeige der Sangesbrüder waren über 17 Jahre hinweg die einzigen medialen Hinweise auf die tatsächlichen Verhältnisse.
Heinrich Fischer scheint ganz in der Ateliertätigkeit aufgegangen zu sein, ohne wie seine fotografierenden Kollegen im öffentlichen Raum, etwa bei Großveranstaltungen, in Erscheinung zu treten. Seine wenigen bekannten Porträtaufnahmen zeugen von solider Beherrschung des Handwerks; den Rahmen des Konventionellen sprengten sie ebenso wenig wie die Arbeiten seiner Siegener Zeitgenossen. Auf jeden Fall war er aber einer von ihnen und sollte deshalb, gerade auch wegen seines bitteren Schicksals, die verdiente historische Anerkennung finden. Dass dies geschehen wird, ist allerdings wegen der Übermacht des Gewohnten und des verbreiteten Unwillens, sich auf Korrekturen am einmal konservierten Geschichtsbild einzulassen, recht unwahrscheinlich.
Anmerkungen
1 Intelligenz-Blatt für die Kreise Siegen, Wittgenstein und Altenkirchen vom 12.11.1860.
2 Intelligenz-Blatt für die Kreise Siegen, Wittgenstein und Altenkirchen vom 15.05.1840.
3 Intelligenz-Blatt für die Kreise Siegen, Wittgenstein und Altenkirchen vom 03.10.1851.
4 Siegener Zeitung vom 10.04.1877.
5 Siegener Zeitung vom 28.04.1877.
6 Siegener Zeitung vom 10.05.1877.
7 Kirchenbuch St. Marien, Sterberegister 1877-1892, KB 015-02-S. (Digitalisat: https://data.matricula-online.eu/de/deutschland/paderborn/DE_EBAP_74019/KB015-02-S/?pg=5)
8 Sterberegister 1877: Stadtarchiv Siegen, Best. 2 / Si-S Nr. 4.
9 Siegener Zeitung vom 19.05.1877.
10 Siegener Zeitung vom 07.03.1878.
11 Siegener Zeitung vom 04.09.1898.
12 Siegener Zeitung vom 12.03.1889.
13 Siegener Zeitung vom 24.03.1927.